Zum einen wird Gott als ewig, liebend und gerecht bezeichnet, zum anderen kollidiert genau das mit Geboten wie Leviticus 20:13, wo zur Tötung von Homosexuellen aufgerufen wird. Ist dies ein göttliches Gebot, dann charakterisiert es einen grausamen und inhumanen Gott. Verwirft man das Gebot, setzt man seine Moral über die Gottes. Verwirft man selektiv die Gebote, die man für inhuman hält, dann macht man sich ebenfalls zum moralischen Richter über Gott, die Bibel wird zu einem willkürlichen Steinbruch für Ethik, man sucht sich aus, was einem passt, nach eigener Willkür. Wie z.B die, die nur das neue Testament bevorzugen.

Danke für diesen Einwand, zu dessen Erklärung ein etwas längerer Exkurs in jüdischer Geschichte notwendig ist – schließlich entstand das 3. Buch Mose im kulturellen Kontext des antiken Nahen Ostens ca. 1445 bis 1405 v. Chr. Die fünf Bücher Mose enthalten Gesetze, Gebote, Hinweise, die man in zwei Kategorien aufteilen kann. Es handelt sich zum einen um Bestimmungen, die das Leben in der Gesellschaft ordnen wie z.B. einen Strafrechtskatalog, die Sklavenordnung, Anordnungen mit zivilrechtlichem Charakter und ethische Normen (= jus humanum). Zum anderen handelt es sich um Gesetze, die das Verhältnis zwischen dem Menschen und seinem Gott regeln wie z.B. den Gottesdienst, die Opferordnung, den Kult und Reinheitsverordnungen (= jus divinum).

Die Welt, in der Mose und die Israeliten mit ihrem Gott in Erscheinung treten, ist natürlich nicht ungläubig. Ganz im Gegenteil. Es herrschen viele religiöse Vorstellungen und viele Götter. Und das Sonderbare ist, dass sich in dieser politheistischen Welt die Götter meist zu vertragen scheinen. Sie scheinen jeweils die Existenz der anderen zu dulden. Und auch die Menschen haben damit kein Problem. Wenn der jeweilige Volksgott versagt, geht man einfach zum Siegergott über, um ihm zu dienen. Häufig dient man auch mehreren Göttern gleichzeitig. (Sicher ist sicher.) In dieser heidnischen Welt erscheint der Gott der Juden, der den Anspruch erhebt, der einzige Gott zu sein. Nicht ein oberster Gott, kein Gott über Göttern, sondern nur er allein hat alles erschaffen, war schon immer da und wird immer da sein:

Und sonst gibt es keinen anderen Gott, einen gerechten Gott und Erretter; außer mir gibt es keinen! (Jesaja 45,21).

Die monotheistische Idee platzt als eine Revolution in die Welt der Antike hinein. Selbst die Israeliten scheinen für den neuen Glauben noch nicht reif genug zu sein. So sagt es jedenfalls das Alte Testament. Bei erster Gelegenheit, als Mose sein Volk für 40 Tage verlässt und sich auf den Berg Sinai zurückzieht, erwählt das Volk einen neuen Gott, das goldene Kalb. Auch in der Zeit danach, so berichtet die Bibel, wenden sich die Juden oft von Gott ab und dienen zuweilen anderen Göttern. Selbst in der Hauptstadt Jerusalem, wo König Salomo dem Gott der Juden einen Tempel errichtet hat, errichten die Frauen des Königs ihren fremden Göttern eigene Altäre. Alles in allem hört man häufig, dass die Propheten sich über das seinem Gott gegenüber untreue Volk Israel beklagen. Wie konnte sich also letzten Endes der biblische Gott bei den Juden doch durchsetzen?

Die Autoren der Büchern Mose haben das Problem erkannt und auch die entsprechenden „Schutzmechanismen“ eingebaut. Das Problem lässt sich wie folgt beschreiben: Die Völker im Lande Kanaan wie auch in ganz Mesopotamien dienten ihren Göttern (oder Götzen) und hatten ihre Kultbräuche, die sich voneinander nicht sehr unterschieden. Eine Annäherung der Juden an die Bräuche und an den Kult der anderen Völker hätte den Unterschied zwischen dem monotheistischen Gott und den anderen Göttern verwischt, was zur Abkehr von Gott geführt hätte (was auch, so steht es in der Bibel, nicht selten geschah). Die Besonderheit des Gottes der Juden und sein alleiniger Anspruch auf diesen Titel musste durch radikale Maßnahmen dokumentiert und durchgesetzt werden. Es musste nicht nur eine strenge Linie zwischen dem jüdischen Glauben und dem Glauben der anderen gezogen werden, sondern auch zwischen dem jüdischen Volk und den anderen Völkern. Der besondere Glaube an den monotheistischen Gott musste die anderen Götter ausgrenzen und konnte auch nur von einem Volk getragen werden, das sich ebenso von den anderen Völkern unterschied und sich von ihnen abgrenzte. Gott liebt sein Volk Israel, deshalb ist er auf alles zornig, was sie kaputt macht bzw. kaputt zu machen droht.

Die Schutzmechanismen wurden durch Gesetze eingebaut, die dem Bereich der Gebote angehören, die die Beziehung vom Menschen zu Gott regeln. Hier sind drei Gesetzeskomplexe zu erwähnen: Die a) Reinheit des Menschen, die nicht immer Reinlichkeit, sondern eher das Spirituelle bedeutet. b) Die Heiligkeit des jüdischen Volkes, die durch die Einhaltung der göttlichen Gebote erreicht wird. c) Die absolute Abgrenzung des Kultes und der Gebräuche von den heidnischen Völkern. Die Gesetze im Bereich der göttlichen Sphäre (jus divinum) unterscheiden sich vom jus humanum dadurch, dass sie nicht immer begründet und teils logisch nicht nachvollziehbar sind, wie z.B.

Du sollst ein Böcklein nicht in der Milch seiner Mutter kochen! (2. Mose 23, 19)

Nun (endlich) zum Verbot der männlichen Homosexualität: Betrachtet man das Verbot im Kontext der Kapitel 18 und 20, fallen folgende Sätze auf:

  • 18, 3: Ihr sollt nicht tun, was man in Kanaan tut, … ihre Bräuche sollt ihr nicht befolgen.
  • 18, 6-18: Unzucht unter Verwandten
  • 18, 21: Von deinen Nachkommen darfst du keinen für Moloch darbringen.
  • 18, 23: Keinem Vieh darfst du beiwohnen; du würdest dadurch unrein. Keine Frau darf vor ein Vieh hintreten, um sich mit ihm zu begatten; das wäre eine schandbare Tat.
  • 18, 24: Ihr sollt euch nicht durch all das verunreinigen; denn durch all das haben sich die Völker verunreinigt.
  • 20, 2: Der eines seiner Kinder dem Moloch gibt, wird mit dem Tod bestraft.
  • 20, 6: Gegen einen, der sich an Totenbeschwörer und Wahrsager wendet und sich mit ihnen abgibt, richte ich mein Angesicht und merze ihn aus seinem Volk aus.
  • 20, 7: Ihr sollt euch heiligen, um heilig zu sein; denn ich bin der Herr, euer Gott.
  • 20, 15: Ein Mann, der einem Tier beiwohnt, wird mit dem Tod bestraft; auch das Tier sollt ihr töten.
  • 20, 16: Nähert sich eine Frau einem Tier, um sich mit ihm zu begatten, dann sollst du die Frau und das Tier töten. Sie werden mit dem Tod bestraft; ihr Blut soll auf sie kommen.
  • 20, 23: Ihr sollt euch nicht nach den Bräuchen des Volkes richten, das ich vor euren Augen vertreibe; denn all diese Dinge haben sie getan, so dass es mich vor ihnen ekelte.
  • 20, 24: Ich bin der Herr, euer Gott, der euch von diesen Völkern ausgesondert hat.
  • 20, 26: Seid mir geheiligt; denn ich, der Herr, bin heilig und ich habe euch von all diesen Völkern ausgesondert, damit ihr mir gehört.

Die – wohlgemerkt rituelle – Homosexualität wie auch das Begatten von Tieren sind aus dem Astarte-Kult und teilweise auch aus dem Baal-Kult bekannt. Hier fällt besonders auf, dass auch das Tier, das nichts dafür kann, getötet werden soll. Dem Moloch Kinder zu opfern, war für die Tora eine besondere Gräueltat. Das Wahrsagen und die Totenbeschwörung gehörten ebenfalls zum Kult der fremden Götter. Ferner fällt auf, dass die Absonderung von den anderen Völkern und von deren Bräuchen wie auch die Heiligkeit des jüdischen Volkes mehrmals betont werden.

Um Verse wie 3. Mose 20,13 richtig zu verstehen, müssen wir uns also vergegenwärtigen, dass es für Israel in der damaligen Zeit vor allem darum ging, sich gegen heidnische Kulte abzugrenzen, in denen nicht selten Formen einer rituellen Homosexualität praktiziert wurden. Das ist sehr wichtig: Es ging niemals gegen Homosexuelle an sich, sondern insbesondere gegen solche Formen von Homosexualität. Ferner gab es im israelischen Volk ein hohes Fortpflanzungsinteresse, das durch diese Art homosexueller Praxis gefährdet schien. So mag die schroffe Ablehnung  homosexueller Praktiken motiviert gewesen sein. Wie gesagt: Gott liebt sein Volk Israel, deswegen ist er zornig auf alles, was sie kaputt macht bzw. droht kaputt zu machen.