Wenn Jesus Gott ist oder eins mit ihm, warum betete er dann? Tatsache ist, ein Gebet stammt immer von einem sich hingebenden, bedürftigen und auf die Gnade des Allmächtigen angewiesenen Wesens. Und als er die Volksmenge weggeschickt hatte, bestieg er einen Berg um zu beten… Matthäus 14;23

Danke für diese ausgezeichnete Frage, die sehr berechtigt ist. Man könnte sogar noch viele andere Stellen hinzufügen: So fragen die Jünger Jesus an einer Stelle, wann denn der Zeitpunkt sei, an dem er letztendlich wiederkommen würde. Und Jesus antwortet ihnen:

Um jenen Tag aber und die Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch nicht der Sohn, sondern nur Gott, der Vater.

Solche Passagen führen vollkommen zu Recht zur Frage, warum sich Jesus, wenn er doch eine Person der göttlichen Dreieinigkeit und damit Gott selbst ist, so augenscheinlich „abgegrenzt“ zu Gott, dem Vater zu sein scheint. Die Antwort auf diese Fragen  finden wir in Philipper 2,6, wo wir lesen:

Denn ihr sollt so gesinnt sein, wie es Christus Jesus auch war, der, als er in der Gestalt Gottes war, es nicht wie einen Raub festhielt, Gott gleich zu sein; sondern er entäußerte sich selbst, nahm die Gestalt eines Knechtes an und wurde wie die Menschen; und in seiner äußeren Erscheinung als ein Mensch erfunden, erniedrigte er sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz.

Wir sehen: Jesus der Gott, dem Vater in allem gleich ist und auf einer Stufe mit ihm steht, nutzte seine Macht nicht zu seinem eigenen Vorteil aus. Nein, er verzichtete auf alle seine göttlichen Vorrechte und stellte sich auf dieselbe Stufe wie ein Diener: Er wurde einer von uns – ein Mensch wie andere Menschen. Dennoch bleibt er natürlich auch Gott; Jesus ist eben 100% Mensch und 100% Gott, das ist die Herausforderung, vor die er uns stellt. Allerdings ein Gott, der, als er Mensch wurde, sich selbst entäußerte und auf alle seine göttlichen Vorrechte freiwillig verzichtete. Als solcher war Gott, der Sohn (= Jesus) in seiner menschlichen Gestalt in der Tat bedürftig gegenüber Gott, dem Vater.

Übrigens: Es ist vielleicht das erste Kapitel des Johannes-Evangeliums, in dem am deutlichsten klar wird, dass wir es bei Jesus mit Gott selbst zu tun haben (natürlich nicht mit Gott,  Vater, sondern mit Gott, Sohn (= Jesus), einer Person der göttlichen Dreieinigkeit). Wir lesen dort:

Am Anfang war das Wort; das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. …  Er, der das Wort ist, wurde ein Mensch von Fleisch und Blut und lebte unter uns. Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit voller Gnade und Wahrheit, wie nur er als der einzige Sohn sie besitzt, er, der vom Vater kommt. … Niemand hat Gott je gesehen. Der einzige Sohn hat ihn uns offenbart, er, der selbst Gott ist und an der Seite des Vaters sitzt.