95. Über Gott wird vieles geglaubt, während man tatsächlich nichts über ihn weiss. Denn der Glaube ist eine Negation des Wissens; man glaubt nur, was man nicht weiss; was man weiss, das braucht man nicht mehr zu glauben. Man kann etwas vermuten, man kann etwas für möglich halten; aber etwas zu glauben, ist absurd. Das Wissen ist positiv, der Glaube illusorisch. Der Glaube ist Wahnsinn; denn der Gläubige erklärt, ein eingebildetes Etwas nicht zu wissen, und dennoch behandelt er diese Einbildung für eine Tatsache. Wenn einer sagt: »Ich glaube an Gott,« so besagt dies, dass er nicht weiss, ob es einen Gott gibt, dass er aber trotzdem von dessen Existenz »überzeugt« ist.

Danke für diesen Einwand, dem – wenn ich es ihn recht verstehe – allerdings ein Missverständnis zugrunde liegt. Wenn Christen sagen „Ich glaube an Gott“ meinen sie ja gerade nicht, dass sie bloß annehmen „Irgendwo da draußen gibt es so jemand wie Gott“. Nein, mit „glauben“ ist hier etwas ganz anderes gemeint; dass es da aber immer wieder zu Verwechslungen und Irritationen kommt, ist wohl eher der deutschen Sprache als der Christenheit an sich anzulasten ist.

Das Verb „glauben“ hat im Deutschen mindestens zwei Bedeutungen: Im Satz „Ich glaube, morgen wird es regnen“ schätzt oder vermutet der Sprecher, dass es am Tag darauf möglicherweise regnet wird. Im Satz „Ich glaube Dir“ sieht die Sache aber schon ganz anders aus: Hier ist „glauben“ vielmehr im Sinne von „vertrauen“ gemeint: „Ich vertraue Dir, dass Du mir helfen wirst.“ Wenn Christen nun sagen, dass sie an Gott glauben, verstehen Sie „glauben“ in dieser zweiten Bedeutung. Christsein bedeutet schließlich nichts anderes eine vertrauensvolle und liebevolle Beziehung mit Gott zu haben.

Christen sind folglich keine Menschen, die annehmen/schätzen/vermuten, dass es Gott gibt. Christen sind Menschen, die gute subjektive wie objektive Gründe dafür, dass es das mit Jesus stimmt, wenn der von sich behauptet: „Wer mich sieht, sieht Gott, den Vater.“ Deshalb reden wir Christen immer von Jesus, nicht weil wir Jesus-Fans wären, sondern weil wir glauben, der Gott an einer Stelle in der Weltgeschichte uns eindeutig mitgeteilt hat, wer er ist:

Ihr wollt wissen, wie ich bin und wer ich bin? Schaut auf diesen Jesus, diesen Wanderprediger in Israel des ersten Jahrhunderts eurer Zeitrechnung – so bin ich. Wenn ihr wissen wollt, was ich über euch Menschen denke, schaut euch an, was Jesus tut und sagt. Wenn ihr wissen wollt wie ich mit euch Menschen umgehe, schaut euch an, wie Jesus mit Menschen umgeht.

Für Christen ist Jesus daher so etwas wie die erkenntnistheoretische Grundlage ihres Glaubens, überhaupt etwas über Gott wissen bzw. aussagen zu können.

Vor diesem Hintergrund haben Sie also völlig Recht: Ich könnte von mir aus rein gar nichts über Gott sagen. Wie sollte ich auch? Ich kann nur dann etwas Verlässliches über Gott sagen, wenn er etwas über sich selbst sagt. Und hier treffen wir auf einen zentralen Aspekt des christlichen Glaubens: Christen glauben, Gott hat sich mitgeteilt, er hat gezeigt, wie er ist, seinen Charakter, sein Herz, sein Wesen. Nicht in einer Ideologie, auch nicht in einer Institution wie der Kirche und selbst nicht primär in einem Buch, sondern in erster Linie in einer Person: in der Person Jesus Christus.

Man kann und sollte nun noch viel mehr schreiben; da ich das an anderer Stelle aber bereits getan habe, verweise ich einfach mal auf den Blogartikel „Warum Gott?