Es gibt einen schweren Fehler in dem Konzept »Glauben«, der ebenso für die alltägliche Form gilt. Man sagt entweder, »Ich glaube es« oder  »Ich glaube es nicht«. Dieses Entweder-Oder ist zu extrem  für eine Welt, in der wir ohnehin so gut wie nie alle Informationen haben, um eine so starke Aussage zu treffen. Religiöser Glauben heißt eigentlich nur: Eine viel zu starke Überzeugung  für etwas zu haben, das man nicht wissen kann. Hier schlägt dieser Irrtum noch viel schwerer zu Buche. Die Tatsache, dass eine Autorität etwas gesagt hat, trägt nur wenig dazu bei, eine Behauptung wahrscheinlicher zu machen. Das gilt nur dann, wenn die Person etwas über das Gebiet weiß. Aber über Gott, das wird wieder und wieder betont, wissen wir nichts – deswegen  gibt es keine Autoritäten, was Gott betrifft. Bezüglich Gott gibt es nur falsche Autoritäten. Was ein Theologe wirklich  weiß ist, was in der Geschichte andere Menschen über Gott geschrieben, vielleicht sogar gedacht haben. Und er hat sich vielleicht eigene Gedanken dazu gemacht. Indirekt versuchen Theologen natürlich, eine Form des »Er­kennt­nis­pri­vi­legs« für sich zu beanspruchen. Für ein Gebi! et, über das sie nichts wissen (können), sondern »starke Über­zeu­gung« Glauben aus unerfindlichen Gründen eine Art Ersatz für Wissen gilt. Und wo dieser Glauben sich hauptsächlich von anderen Autoritäten speist, die auch nichts gewusst, sondern nur stark geglaubt haben!

Danke für diesen ausgezeichneten Einwand. Ich stimme Ihnen vollkommen und absolut zu, wenn Sie schreiben: „Über Gott, das wird wieder und wieder betont, wissen wir nichts – deswegen  gibt es keine Autoritäten, was Gott betrifft.“ Als Christ würde ich sogar sagen:

Ich kann von mir aus rein gar nichts über Gott sagen.

Wie sollte ich auch? Es sei denn – und nun kommt der springende Punkt -, es sei denn, Gott sagt etwas über sich selbst. Wenn es ihn wirklich gibt, befindet er sich auf einer völlig anderen Wirklichkeitsebene als wir, also können wir nichts über ihn sagen, es sei denn, er teilt sich uns mit. Und hier treffen wir auf einen zentralen Aspekt des christlichen Glaubens: Christen glauben, Gott hat sich mitgeteilt, er hat gezeigt, wie er ist, seinen Charakter, sein Herz, sein Wesen. Nicht in einer Ideologie, auch nicht in einer Institution wie der Kirche und selbst nicht primär in einem Buch, sondern in erster Linie in einer Person: in der Person Jesus Christus. Und wenn man sich mal anschaut, wie Jesus im Neuen Testament beschrieben wird, was er also sagt und tut, dann werden wir hier mit einer Person konfrontiert, die einen absoluten steilen Anspruch erhebt, der da lautet:

Wer mich sieht, sieht Gott. Ich stehe hier an Gottes Stelle.

Das beansprucht Jesus an vielen verschiedenen Stellen.

“Moment”, sagen nun vielleicht, “ist das, was wir heute in den Evangelien lesen, überhaupt historisch glaubwürdig? Sind die ganzen Berichte über Jesus nicht viel eher Mythen und Legenden?” Ich kann diese Frage ganz gut nachvollziehen und es mag Sie vielleicht überraschen: Beim aktuellen Stand historischen Forschung wird kaum noch die Ansicht vertreten, dass es sich bei den Evangelien um historisch unzuverlässige Quellen handelt. Dieser Stand wird von Jens Schröter, Professor für Exegese und Theologie des Neuen Testaments und neutestamentliche Apokryphen an der HU Berlin, recht gut zusammen:

Historische Jesusforschung kann den christlichen Glauben niemals begründen oder gar seine Richtigkeit beweisen. Sie kann jedoch zeigen, dass dieser Glaube auf dem Wirken und Geschick einer Person gründet, die sich, wenn auch nicht in jedem Detail, so doch in wichtigen Facetten auch heute noch nachzeichnen lassen. Damit leistet sie für die Verantwortung des christlichen Glaubens in der modernen Welt einen substantiellen Beitrag.

Ob es uns also gefällt oder nicht: Jesus ist eine historisch überaus zuverlässig belegte Person, die sich in vielen wichtigen Facetten auch heute noch nachzeichnen lässt. So finden wir etwa im historisch sehr gut bezeugten Johannes-Evangelium viele Passagen dazu, in denen dieser Jesus den Anspruch erhebt, selbst Gott zu sein. Ein paar Beispiele hierzu: In einem Gespräch mit Vertretern der religiösen Elite weist Jesus klar darauf hin: “Ich und der Gott, der Vater sind eins.” Die Reaktion von einiger seiner Zuhörerschaft darauf ist überaus heftig, denn auf solch eine Behauptung stand zur damaligen Zeit, in der die Existenz des heiligen Gottes zu keiner Zeit bestritten wurde, nur eine Strafe: der Tod. Seine Gegner erwiderten Jesus empört:

Wir steinigen dich nicht wegen einer guten Tat, sondern weil du ein Gotteslästerer bist. Du machst dich zu Gott, obwohl du nur ein Mensch bist. (Joh. 10,33)

Darüber hinaus wird Jesu Gottesanspruch nicht nur in dem deutlich, was er sagt, sondern vor allem auch durch die Dinge, die er behauptet, tun zu können. Denn Jesus sagt zu wildfremden Menschen: „Deine Sünden sind dir vergeben.” Und nach Auffassung der hebräischen Bibel ist auch solch eine Aussage schlichtweg Gotteslästerung. Man wusste zur damaligen Zeit ganz genau: Nur einer ist in der Lage, einem Menschen seine Sünden zu vergeben, nämlich nur Gott selbst.

Und Jesu Anspruch, der menschgewordene Gott selbst zu sein, war es letztendlich ja auch, weswegen er zum Tod am Kreuz verurteilt und hingerichtet wurde. Nicht wegen sozial-revolutionärer oder rebellischer Gedanken wurde Jesus zum Kreuzestod verurteilt, sondern wegen Gotteslästerung – wegen seiner niemals abreißenden Behauptung, dass er Gott ist.

So einfach, was viele populäre Veröffentlichungen über Jesus sagen, nämlich “Jesus war ein großer ethischer Lehrer und ein vorbildlicher Mensch, keine Frage. Aber die Sache mit seinem Anspruch, der “heruntergekommene” Gott selbst zu sein, die lassen wir einmal beiseite”, so einfach macht es uns Jesus nicht, wenn er sowohl durch sein Reden als auch Handeln einen so enormen Anspruch erhebt. Wenn er beispielsweise sagt: “Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf der Erde.” Oder: “Jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben.” Oder auch:  “Ich bin der Weg, ich bin die Wahrheit, und ich bin das Leben. Zu Gott, dem Vater kommt man nur durch mich.”

Wir sehen: Es sind gewaltige Ansprüche, die Jesus da für sich erhebt. Und vergessen wir nicht: Gerade der breite Mainstream historischer Forschung lässt uns hier wenig Spielraum – stufen doch die meisten Textforscher (gläubige wie nicht-gläubige) die Evangelien als historisch zuverlässige Dokumente ein. Und wenn man sich nun anschaut, was Jesus sagte und tat, dann ist er entweder viel mehr als ein vorbildlicher Mensch oder aber viel weniger als das. Denn:

  • Entweder war Jesus ein Lügner – und zwar genau dann, wenn es nicht stimmt, was er sagt und er sich darüber im Klaren ist, dass es nicht stimmt.
  • Oder Jesus war ein Verrückter – und zwar genau dann, wenn es nicht stimmt, was er sagt und er auch nicht weiß, dass es nicht stimmt.
  • Oder aber: Es stimmt, was Jesus von sich behauptet, dass er wirklich Gott selbst ist.

Wenn Sie nun den Einwand haben, dass es doch sicherlich noch mehr als diese drei Möglichkeiten, würde ich Ihnen sogar zustimmen – wenn die Lebensberichte von Jesus heutzutage nicht seitens der Geschichtswissenschaft als historisch zuverlässiges Datenmaterial angesehen würden.

Mein Vorschlag zur Güte ist daher einfach mal, ins Neue Testament hinzuschauen. Am besten in einer texttreuen & verständlichen Übersetzung, zum Beispiel die NGÜ. Dort finden sich ja die Lebensbeschreibungen von Jesus, von denen das Markus-Evangelium die kürzeste ist. Zudem ist sie auch zugleich die älteste Lebensbeschreibung. Und ich erwarte auch gar nicht, dass man das alles sofort schluckt, was einem dort als Inhalt angeboten wird. Es ist vollkommen in Ordnung, wenn Sie zB den Wundergeschichten skeptisch gegenüberstehen. Aber um die braucht es ja auch gar nicht zu gehen.

Im Kern geht es ja um den Charakter Jesu und um die Frage: „Macht dieser Jesus den Eindruck, ein Lügner oder Verrückter zu sein? Oder macht er den Eindruck, dass er weiß, wovon er spricht?“ Diese drei Möglichkeiten: Er hat andere getäuscht, er hat sich getäuscht oder er hat Recht. Und wenn wir vor dieser Alternative stehen, dann geht eines eben nicht – dass wir nämlich sagen: „Jesus: vorbildlicher Mann, ethisches Vorbild. Aber dieser ganze dogmatische Ballast mit „Sohn Gottes“, „für unsere Schuld gestorben“, den lassen wir mal weg.“ Aber genau das lassen die Lebensbeschreibungen Jesu eben nicht zu. Entweder ist er viel weniger als ein guter Lehrer, nämlich ein mieser Betrüger oder ein Geistesgestörter. Oder er ist viel mehr als ein gutes Vorbild, nämlich wirklich Gott selbst.

Ich kann durchaus verstehen, wenn das ungewohnt ist, so zu denken. Aber merken Sie, dass genau an dieser Stelle und wenn man diese Möglichkeit einmal zulässt, sich die ganze gewaltige Gottesfrage zu einer sehr konkreten Vertrauensfrage zuspitzt? Nämlich zu der Frage: „Kann ich diesem Jesus vertrauen?“ Und es nicht blindes Vertrauen, wo man glaubt, ohne mitzudenken. Sondern sehendes Vertrauen, wo ich nachfragen darf, wo ich überprüfen darf, wie glaubwürdig die Überlieferungen wirklich sind, und so weiter und so sofort. Und irgendwann selbst zu einem Schluss komme. Ich kann Ihnen diese Frage nicht abnehmen, aber ich bitte Sie, sich diese Frage einmal ernsthaft zu stellen:

Was glaube ich von Jesus?