Auf S. 73 f. schreiben Sie, im Gegensatz zu den anderen Weltreligionen habe das Christentum kein Regelwerk. Ich gebe zu, das versetzt mich in großes Erstaunen. Von den 10 Geboten, über die Bergpredigt bis hin zu den Paulusbriefen ist die Bibel voll von Geboten und Verboten. Man weiß gar nicht, was man zuerst befolgen soll. Und die Kirchen halten sich nicht zurück, immer wieder darauf hinzuweisen. Habe ich da etwas falsch verstanden?

Danke für diese gute Frage und Ihre Verwunderung finde ich vollkommen nachvollziehbar. Beim christlichen Glauben geht es zuerst eben nicht um ein Verhalten. Natürlich hat dieser Glaube Auswirkungen auf mein Verhalten, aber das ist nicht der Kern. Christsein meint in erster Linie eine persönliche und vertrauensvolle Beziehung zu Gott.

Und Gottes Anerkennung und Liebe – so sagen Christen – kann man sich gerade nicht durch das Einhalten der biblischen Gebote erarbeiten und verdienen; im Buch hatte ich hierzu eine Passage aus dem Römerbrief zitiert:

Durch das Befolgen von Gesetzesvorschriften steht kein Mensch vor Gott gerecht da. Das Gesetz führt vielmehr dazu, dass man seine Sünde erkennt. … Wir gehen davon aus, dass man aufgrund des Glaubens für gerecht erklärt wird, und zwar unabhängig von Leistungen, wie das Gesetz sie fordert. (Römer 3,20/28)

Alle anderen Religionen widersprechen dem Christentum hier scharf. Sie sagen:

Doch, doch! Du musst schon viel Gutes tun, um am Ende das große Ziel zu erreichen. Du musst dich bemühen und anstrengen. Dann kann es funktionieren.

Dieses „religiöse Prinzip“ gibt es beim christlichen Glauben nicht. Darauf wollte ich im Buch hinweisen. Es ist nämlich nach wie vor ein großes Missverständnis, jemanden vorzuwerfen, dass er „kein guter Christ“ sei – denn das impliziert ja, dass es beim Christsein um das Tun von guten Werken ginge. Gute Taten bringen einen – zumindest im christlichen Verständnis – niemanden zu Gott.