Wenn‘s den christlichen Gott denn gibt….. 1. Würde ein Gott sich an seine eigens aufgestellten Gebote nicht halten z. B. du sollst nicht töten? 2. Ändert der christliche Gott immer seine Meinung? AT NT ? 3. Sind da nicht mehrere Götter in der Bibel am Werk, die unterschiedliche Ansichten haben?

Danke für diese Fragen, die ich einmal in dieser Reihenfolge beantworte. Frage 1: „Würde ein Gott sich an seine eigens aufgestellten Gebote nicht halten z. B. du sollst nicht töten?“ In den Zehn Geboten (2. Mose 20,2ff., bzw. 5. Mose 5,4f.) steht in den meisten deutschen Bibelübersetzungen ja wirklich „Du sollst nicht töten“. Nur wenige schreiben sinngemäß „Du sollst nicht morden“. Das hebräische Wort, das hier verwendet wird, lautet razah (dt. töten, morden oder erschlagen) und bezeichnet besonders das Morden, d. h. ungesetzliches Töten. Gemeint ist also stets das unrechtmäßige Töten eines einzelnen Menschen, sei es durch vorsätzlichen Mord oder aber durch unbeabsichtigten Totschlag. Das Hebräische kennt auch andere Worte für das Töten. Für bestimmte Fälle sah die jüdische Bibel also durchaus vor, dass Menschen getötet werden durften, etwa im Rahmen der Todesstrafe oder im Falle eines von Gott angeordneten Krieges.

„Wie kann Gott einen Krieg anordnen?“, fragen nun sicherlich viele. Die Antwort findet sich, wenn wir anfangen zu verstehen, dass Gott (gerade in den alttestamentlichen Zeiten) subjektiv und parteilich ist – nämlich ein „Gott der kleinen Leute“, der die Freiheit der Versklavten will; insbesondere die Freiheit der versklavten Israeliten, Gottes erwählten Volk. Als Herr über alle Menschen zeigt er sich darin, dass er die Macht auch über die Unterdrücker hat. Der Gott Israels führt die Unterdrückten und Versklavten in die Freiheit, er erhebt die Niedrigen. Er setzt sich also für die ein, die entrechtet und geknechtet sind. Und er tut dies mit aller Macht. Das 2. Buch Mose spricht z.B. durchweg von einem Gott, der die Sklaverei beendet und für die eintritt, die eines menschenwürdigen Daseins beraubt sind. Um ihnen zu helfen, kann dieser Gott auch aggressiv werden. Um sie vor erneuter Versklavung zu retten, kann Gott auch zu Gewaltmitteln greifen. Gott liebt sein Volk Israel, deswegen ist er zornig auf alles, was sie kaputt macht bzw. kaputt zu machen droht. Diese Art von Zorn ist aber kein Gegensatz zu Liebe, sondern Ausdruck von Liebe.

Im Kontext von Unterdrückung und Menschenverachtung ist der gewalttätige Gott also ein Gott der Gegen-Gewalt. Im Deutschen können wir den Zusammenhang an einem Wortspiel verdeutlichen: Der gewalttätige Gott ist ein gewaltiger und waltender Gott. Anders: Die biblischen Texte schildern, wie der Gott Israels mit aller Gewalt gegen die Feinde und Unterdrücker seines Volkes vorgeht; weil die Verfasser eben davon überzeugt sind, dass Gott die Macht hat, seine Schützlinge auch tatsächlich zu schützen und dass er diese Macht nutzt und nicht untätig bleibt.

Unser Pochen auf die Rechte aller Menschen hat natürlich zweifellos seine Berechtigung, keine Frage. Eine abstrakte, juristische Sichtweise übersieht aber, dass sie in der Praxis letztendlich zum Vorteil des Stärkeren ausfällt. Eine anschauliche Illustration bietet uns vielleicht die weitgehende Aussichtlosigkeit von Prozessen wegen medizinischer Kunstfehler, von denen wir immer wieder hören: Natürlich ist es das gute Recht des geschädigten Patienten, auf Schadensersatz zu klagen. Doch die Chancen, sich gegen finanzstarke Ärzte und Klinken durchzusetzen, gegen deren Versicherungen und Gutachter, sind in der rauen Realität sehr gering. Oder: Im Weltmaßstab mag man an die Ideologie vom freien Handel denken. Der durch Subventionen oder Strafzölle unbeeinflusste Warenaustausch sichert den Zugang jeden Wettbewerbers zu allen Absatzmärkten – theoretisch. De facto setzen sich aber die stärkeren Volkswirtschaften durch. Länder, die aufgrund ihres historischen Schicksals als ehemalige Kolonien, durch Kriege und Naturkatastrophen sowieso schon hintendran sind, fehlt meist die Kraft, um im Konkurrenzkampf mitzuhalten.

Dass wir heutzutage z.B. eher Mitleid mit den ertrunkenen Ägyptern haben, als die Freude der jüdischen Texte über die Befreiung der unterdrückten und versklavten Israeliten zu teilen, liegt zweifelsohne (auch) daran, dass wir – insbesondere in Deutschland – den Blick für die Versklavten und Geknechteten verloren haben. In unserer Gesellschaft, in der der Sozialausgleich immerhin soweit funktioniert hat, dass es kein Proletariat mehr gibt, kommen Arme nur noch als Randerscheinung vor (z.B. als Bettler und Obdachlose). Die Unterdrückung und Versklavung breiter Schichten der Bevölkerung kennen wir nicht aus unserer Lebenswelt. Das bringt zwei Folgen mit sich:

Zum einen fehlt uns unmittelbar erfahrene Versklavung von Menschen als drängendes und als Motivation für soziales und gesellschaftsveränderndes Handeln. Zum anderen müssten wir, wenn wir uns auf diese Frage einlassen, realisieren, dass unsere Wohlstandsgesellschaft zumindest teilweise auf der Ausbeutung vieler Menschen in anderen Erdteilen beruht. Die überhebliche Souveränität, mit der wir uns heutzutage gerne über die biblischen Texte stellen und ihren Inhalten moralische Zensuren erteilen, tut ihnen zweifelsfrei Unrecht. Die kritische Rückfrage muss erlaubt sein: Wie würde unser Urteil ausfallen, wenn wir nicht gut situierte Westeuropäer wären, die Krieg nur noch aus dem Fernsehen kennen und deren Alltag durch keinerlei Kriege oder kriegerische Konflikte berührt ist? Was wäre, wenn wir z.B. Menschen in einem Land wären, die vom Regime seit Jahren mit Krieg und Hunger überzogen werden? Welche Texte würden wir schreiben? Wie würden wir handeln?

Fragen 2/3: „Ändert der christliche Gott immer seine Meinung? AT NT? Sind da nicht mehrere Götter in der Bibel am Werk, die unterschiedliche Ansichten haben?“

Meine bisherige Erfahrung zeigt, dass diese Frage zumeist eher diejenigen stellen, die das Neue und (insbesondere) das Alte Testament nur bruchstückhaft gelesen haben oder sogar nur von Dritten her kennen. Da sollte nun jeder ganz ehrlich zu sich selbst sein und zugeben: Es ist nicht sonderlich verwunderlich, dass der, der ein bestimmtes Buch nie wirklich gelesen hat, Verständnislücken aufweist. Das soll nun gar kein persönlicher Angriff oder gar eine Beleidigung sein, bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Stellen Sie sich einmal folgende Situation vor: Sie sind der Autor eines neuen Bestsellerromans und bekommen eines Tages Besuch von einem Mann, die ihr Buch zutiefst kritisiert: Sie hätten insbesondere die Zusammenhänge zwischen den beiden Hauptprotagonisten nie richtig klargestellt, so dass am Ende kein lesenswertes Buch dabei herauskam. Das Problem ist aber: Sie haben diese Zusammenhänge klargestellt, ihr Kritiker hat das Buch (wohlmöglich wegen seiner Dicke) anscheinend nie richtig im Gesamtzusammenhang gelesen, sonst würde er ihnen diesen Vorwurf niemals machen.

Meine These lautet daher: Wer das Alte und das Neue Testament sorgfältig und komplett liest, wird feststellen, dass Gott seine Haltung im Alten wie im Neuen Testament nicht ändert. Ich weiß: Das Lesen im Gesamtzusammenhang würde jede Menge Arbeit bedeuten, deswegen machen es ja auch die wenigsten. Die Folge ist aber, dass sich die meisten kein angemessenes Urteil bilden können – trotzdem aber nicht davor zurückschrecken, dieses öffentlich kundzutun. Da liegt meiner Ansicht nach der eigentliche Fehler und nicht zunächst bei der Bibel. Wer beide Testamente einmal ernsthaft liest, merkt, dass z.B. Gottes Zorn und Gottes Liebe in beiden gleich sind. Gott wird auch im Alten Testament durchgängig als ein barmherziger und gnädiger Gott beschrieben, der nicht schnell in Zorn gerät, sondern reich an Gnade und Treue ist (vgl. etwa 2.Mose 34,6; 4.Mose 14,18; 5.Mose 4,31; Nehemia 9,17; Psalm 86, 5ff.; Psalm 108,4; Psalm 145,8; Joel 2,13). Im Neuen Testament wird sogar Gottes Güte und Barmherzigkeit durch folgende Aussage vollständig deutlich:

„Denn Gott hat der Welt seine Liebe dadurch gezeigt, dass er seinen einzigen Sohn für sie hergab, damit jeder, der an ihn glaubt, das ewige Leben hat und nicht verloren geht.” (Johannes 3,16)

Gott gerät also in Zorn – aber stets langsam. Das ändert sich auch nicht im Neuen Testament (vgl. etwa Johannes 3,36; Römer 1,18; Römer 12,19; Epheser 5,6; Offenbarung 14,19; Offenbarung 19,15). Der Unterschied zwischen den alttestamentlichen und neutestamentlichen Zeiten ist nur der, dass Gottes Zorn noch nicht zum Tragen gekommen ist, sondern sich erst am „Tag des Herrn“ zeigen wird. Im 2. Petrus 3,9ff. lesen wir hierzu:

Was sie für ein Hinauszögern halten, ist in Wirklichkeit ein Ausdruck seiner Geduld mit euch. Denn er [Gott] möchte nicht, dass irgendjemand verloren geht; er möchte vielmehr, dass alle zu ihm umkehren. Trotzdem: Der Tag des Herrn wird kommen, und er kommt so unerwartet wie ein Dieb. An jenem Tag wird der Himmel mit gewaltigem Krachen vergehen, die Gestirne werden im Feuer verglühen, und über die Erde und alles, was auf ihr getan wurde, wird das Urteil gesprochen werden.

Ich erwarte nun gar nicht, dass Sie das mit dem „Jüngsten Gericht“ glauben – ich will nur aufzeigen, dass Gottes Zorn mit Anbruch des Neuen Testaments keinesfalls erloschen ist, er ist nur noch nicht ausgeschüttet worden.

Durch das gesamte Alte Testament sehen wir auch, dass Gott mit Israel wie ein liebender Vater mit seinem Kind handelt. Wenn es sich willentlich gegen ihn versündigt und Götzen anbetet, züchtigte Gott es, aber jedes Mal erlöste er die Israeliten, wenn sie Buße für ihren Götzendienst taten. In ähnlicher Weise handelt Gott mit Christen im Neuen Testament. Zum Beispiel lesen wir in Hebräer 12,6ff.: „Wen der Herr liebt, den erzieht er mit der nötigen Strenge; jeden, den er als seinen Sohn annimmt, lässt er auch seine strafende Hand spüren.“

Wenn man die Bibel ernsthaft studiert, wird schnell klar: Gottes Zorn und Gottes Liebe besteht im Alten genauso wie im Neuen Testament. Obwohl die Bibel aus 66 einzelnen Büchern besteht, die auf drei Erdteilen, in drei verschiedenen Sprachen, über eine Zeitspanne von ungefähr 1.500 Jahren und von mehr als 40 Autoren mit unterschiedlichem Hintergrund verfasst wurde, bleibt es von Anfang bis Ende ein einheitliches Buch: In ihm sehen wir, wie ein liebender, barmherziger, aber auch heiliger und gerechter Gott mit sündigen Menschen in verschiedenen Situationen umgeht. In der gesamten Bibel lesen wir, wie Gott Menschen voller Liebe und Barmherzigkeit in eine besondere Beziehung zu ihm selbst einlädt, nicht weil sie es verdienen, sondern weil er ein gnädiger und barmherziger Gott ist, der langsam in seinem Zorn ist und Güte und Treue zeigt. Dennoch sehen wir einen heiligen und gerechten Gott, der Sünde verurteilt und richtet.

Zum Abschluss noch eine wichtige Anmerkung: Auch wenn dieser Beitrag zwar die Richtung andeutet, in der die Antwort auf die „Gott-und-Gewalt“-Frage liegen kann, dürfte klar sein, dass dieses Thema in diesem Rahmen nicht erschöpfend behandelt werden kann. Das sollte auch nicht weiter verwundern, schließlich ist dieser Diskurs keiner, den man „so mal eben“ in einer kurzen Blogantwort vollständig „abarbeitet“. Weiteres Nach- und Mitdenken ist also jedem empfohlen, der eine vollständigere Antwort möchte. Das Buch von Klaus-Stefan Krieger „Gewalt in der Bibel. Eine Überprüfung unseres Gottesbildes“ ist mit etwa 100 Seiten zwar ein dünnes Buch, sicherlich aber eines der besten zum Thema – und beim Preis von knapp 7 Euro sogar sehr erschwinglich.