Gläubige neigen oft zur Selbstzensur, sie bevorzugen unbewusst die Stellen, die einen Gott präsentieren, wie sie ihn gerne haben möchten. Der liebende Vatergott des Neuen Testaments ist ihnen lieber als der cholerische Tyrann der alten Schriften. Doch die Freiheit besteht darin, nicht einen guten Herrn über sich zu haben, sondern gar keinen Herrn.

Danke für diesen Einwand. Ich stimme Ihnen zu: Viele Gläubige neigen ja wirklich häufig zu einer Art Selbstzensur, wenn sie nur die Bibelstellen berücksichtigen, die Gott „gut“ dastehen lassen. Aber unter uns: Menschen, die mit dem Thema „Gott & Glaube“ nicht viel anfangen können, machen ja genau das gleiche. Solche Leute picken sich eben nur die Bibelstellen heraus, die Gott „schlecht“ dastehen lassen. Beides ist meiner Ansicht nach sehr falsch und trägt darüber hinaus auch nichts zur Frage bei, ob es letztlich stimmt, was Christen glauben.

Zum Thema „Freiheit“: Dem Christentum wird ja nachgesagt, es sei ein Hindernis für die Selbstverwirklichung des Einzelnen, da es unsere Freiheit einschränkt, unseren Glauben und Lebensstil zu wählen. Kant definierte einen aufgeklärten Menschen als jemanden, der auf sein eigens Denken vertraut und nicht auf irgendeine Autorität oder Tradition. Diese Ablehnung von Autoritäten, die ethische Entscheidungen vorgeben, ist inzwischen tief in unserer Kultur verwurzelt. Die Freiheit, seine eigenen moralischen Maßstäbe festzulegen, gilt als Vorbedingung vollwertigen Menschseins.

Ich denke aber, dass man es nicht so einfach machen darf: Freiheit lässt sich nämlich nicht rein negativ definieren, also als Abwesenheit von Einschränkungen und Vorgaben. In vielen Fällen sind Einschränkungen und Grenzen sogar ein Mittel der Freiheit. Wer z.B. musikalische Ambitionen hat, wird vielleicht jahrelang üben, üben und nochmals üben, um hervorragend Klavier zu spielen. Das bedeutet aber eine Einschränkung der eigenen Freiheit.  Einschränkungen und Grenzen machen uns aber nur dann frei, wenn sie zu unserem Naturell und Talent passen. Ein Fisch ist z.B. nur dann frei, wenn er sich auf den Lebensraum des Wassers beschränkt. Wenn wir ihn herausholen und ins Gras legen, wird seine Freiheit nicht größer, sondern wird vernichtet. Der Fisch stirbt, wenn wir nicht seine gegebene Natur akzeptieren.

In vielen Bereichen des Lebens ist Freiheit nicht so sehr die Abwesenheit von Grenzen als vielmehr die Kunst, sich die richtigen Grenzen zu setzen – die nämlich, die uns mehr Spielraum geben. Die Grenzen, die zu der Realität unseres Wesens und der Welt passen, geben unseren Fähigkeiten mehr Entfaltungsraum und vertiefen unsere Freude und Erfüllung. Experimente, Risiken und Fehler führen ja nur dann zu Wachstum, wenn sie uns nicht unsere Fähigkeiten, sondern auch unsere Grenzen aufzeigen. Und wenn wir körperlich, beruflich und in unserem Denken nur dann wachsen, wenn wir die richtigen Grenzen erkennen und akzeptieren, warum sollte das dann nicht auch für unser moralisches und spirituelles Wachstum gelten? Ist es, anstatt auf der „Freiheit“ zu bestehen, unsere spirituelle Realität selbst zu schaffen, nicht klüger, die bereits existierende Realität zu entdecken und dann unser Leben entsprechend einzurichten?

Was ist denn aber nun diese moralisch-spirituelle Realität, die wir anerkennen müssen, damit unser Leben gelingt? Was ist die Umgebung, die uns befreit, wenn wir uns ihr unterordnen, wie Wasser den Fisch befreit? Die Antwort ist ganz einfach: Die Liebe. Liebe ist der befreiendste Freiheitsverlust, den es gibt.  Ob es um Freundschaft, um die Liebe zwischen Mann und Frau oder um die liebevolle Beziehung zwischen Mensch und Gott geht – eines der Grundprinzipien der Liebe ist, dass ich meine Unabhängigkeit aufgebe, um Intimität zu gewinnen. Wenn Sie die „Freiheit“ der Liebe wollen – die Erfüllung, die Geborgenheit  und das Gefühl, etwas wert zu sein –, müssen Sie Ihre persönliche Freiheit in vielen Bereichen einschränken. Man kann nicht eine tiefe Beziehung aufbauen und weiter sein Leben in eigener Regie führen, ohne Mitspracherecht des Freundes oder der geliebten Person. Um Liebe zu erfahren, muss ich meine persönliche Autonomie aufgeben.

Ein Freund des irischen Schriftstellers C.S. Lewis wurde mal gefragt: „Ist es leicht, Gott zu lieben?“ Er antwortete: „Ja, für die, die es tun.“ Das ist nicht so paradox, wie es klingt. Ein junger Mann, der so richtig verliebt ist, möchte seiner Geliebten in allem gefallen. Er wartet nicht darauf, bis sie ihn um etwas bittet oder ihn zu etwas auffordert. Er versucht herauszufinden, womit er ihr eine Freude machen kann; Geld und Mühe spielen da keine Rolle. „Dein Wunsch ist mir Befehl“ ist sein Motto – und er fühlt sich dadurch überhaupt nicht unterdrückt. Seine Freunde denken vielleicht: „Die hat ihn ja voll im Griff“, aber für ihn ist es der Himmel.

Ganz ähnlich ist es für einen Christen mit Jesus. Die Liebe Christi lässt ihm keine andere Wahl: Wenn ich verstanden habe, was Jesus für mich getan hat, wie er sich für mich geändert und hingegeben hat, erfüllt mich das mit tiefster Dankbarkeit und habe ich keine Angst mehr davor, meine Freiheit für ihn aufzugeben und in ihm die wahre Freiheit zu finden.